Dienstag, 13. Dezember 2016

"Marsch für das Leben" in Den Haag. Für eine moralische Klarheit unter den Nebeln eines falschen Rechts

Tobias Großbölting

Die Niederlande sind ein flaches Land, das zu fast einem Viertel unter dem Meeresspiegel liegt. Dämme zu bauen und den Wasserpegel beherrschbar zu machen, beschreiben eine Kunstfertigkeit, in der es Niederländer über Jahrhunderte zur Weltmeisterschaft gebracht haben. Dammbrüche sind undenkbar - und, falls doch, wie bei der Flutkatastrophe 1953, viel Land überflutet wird, lernt man schnell daraus.

Die Niederlande sind also ein fortschrittliches Land. Aber der Glaube an die technische Machbarkeit aller Lebensbelange hat in dieser Gesellschaft auch eine Sorg- und Achtlosigkeit herangezüchtet, die ihresgleichen sucht. Jener vielgepriesene Fortschritt löst die Dämme der Moral mehr und mehr auf: Inzwischen ist über die Hälfte der Niederländer konfessionslos. 

Seit Anfang der 1980er Jahre besteht ein äußerst liberales Abtreibungsrecht, das einen Schwangerschaftsabbruch bis zur 22. Woche und damit bis zur Lebensfähigkeit des Kindes außerhalb des Mutterleibes erlaubt. Mit der "euthanasiewet" wurde 2001 das weltweit erste Sterbehilfegesetz verabschiedet, das so liberal gehalten ist, dass selbst Minderjährige davon Gebrauch machen dürfen.

Ethisch gesehen, sind die Niederlande längst versumpft. Aber es tut sich etwas. Eine wachsende Zahl an Niederländern will jene Missstände nicht länger nurmehr hinnehmen und sich in falscher Toleranz üben. 

Ein Beispiel dafür ist der "Mars voor het Leven" - die niederländische Variante des "Marsches für das Leben", der alljährlich im Dezember in Den Haag stattfindet, um an den traurigen Jahrestag des Gesetzes zu erinnern, mit dem am 18. Dezember 1980 die Abtreibung legalisiert wurde. 

In diesem Jahr fand der "Marsch für das Leben" am Samstag, den 10. Dezember, statt. Um die 7.000 Menschen unterschiedlicher christlicher Konfessionen nahmen an dem Marsch teil. Väter und Mütter mit Kindern gehörten ebenso dazu wie Großeltern, desgleichen Jugendliche und Studenten, Priester und Ordensangehörige. 

Auch Teilnehmer aus Deutschland, Frankreich, Litauen und den USA waren angereist, darunter Vertreter von SOS LEBEN ("Deutsche Vereinigung für eine christliche Kultur"), von "Droit de Naitre" (Frankreich) und der litauischen "Krikščioniškosios kultūros gynimo asociacija".

Die organisatorische Federführung der Veranstaltung lag in den Händen des Hilversumer Vereins "Schreeuw om Leven" ("Schrei ums Leben"). Eingeleitet wurde der Marsch mit einer Kundgebung, im Rahmen dessen auch Hugo Bos, Vorsitzender der katholischen "Civitas Christiana", sprach. Bos machte darauf aufmerksam, dass gerade die Stadt Den Haag, weil es Sitz des Internationalen Strafgerichtshofes ist, als Ort eines herausgehobenen Rechtsbewusstseins eine besondere Verantwortung zukomme. Den Haag werde aber dieser Rolle im Hinblick auf die Verteidigung eines Menschenrechtes Ungeborener nur äußerst unzureichend gerecht. Daher müssten alle Teilnehmer am Marsch wie ein unbequemer Stachel im Fleische dieser Stadt wirken.

In der Tat verfehlte der Marsch seine Wirkung nicht: In sich versunken oder leise den Rosenkranz rezitierend gingen die Marschierenden unbeirrt ihren Weg durch die in leichtem Nebel gehüllten Straßenzüge. Auf manchen Marschetappen wirkte die Stadt wie leergefegt, ja trostlos; dann wieder konnte es vorkommen, dass die Marschteilnehmer an Menschen mit offenen Mündern vorbeizogen. Es war entweder genervtes Desinteresse oder angenehmes Staunen, das sich kundtat. Gegenprotest blieb weitgehend aus. Einsam machte bloß eine Gruppe von etwa 20 lauthals schreienden Aktivisten auf sich aufmerksam. Unter Parolen von ehrlichem Hass mischten sich Tiraden professioneller Empörung oder tönte vulgäres Krakeele durch. Derlei dürfte die innere Ruhe der vorbeiziehenden Marschteilnehmer unberührt und ihre gebetsgestählte Entschlossenheit noch gestärkt haben. Vielleicht auch, weil ihnen gewiss ist: Schreiendes Unrecht schweigt am besten öffentlich!